Prokrastination ("Aufschieberitis")

Prokrastination überwinden


Prokrastination oder im Volksmund „Aufschieberitis“ ist keine Diagnose im Sinne der gängigen Klassifikationen psychischer Erkrankungen.


In meiner täglichen Praxis als Psychotherapeut und Coach begegnen mir jedoch häufig Klient*innen, die darunter leiden, dass Sie Ihre Aufgaben vor sich herschieben und dieses Problem lösen möchten. Daher habe ich diesen Leitfaden zusammengestellt, der Wege zur Überwindung einer belastenden Prokrastination aufzeigt.

Tatsächlich ist ausgeprägtes Aufschieben häufig Auslöser für mentale und körperliche Probleme, denn fortwährend unerledigte Aufgaben schwächen das Selbstwertgefühl und können zu depressiven Verstimmungen oder problematischen Denk- und Verhaltensweisen führen – bis hin zu übermäßiger Ablenkung durch Spielen oder Drogen wie Alkohol. Gleichzeitig gibt es psychische Erkrankungen, die mit Antriebsschwäche und in der Folge mit Prokrastination einhergehen.


Eine wirkmächtige und wissenschaftlich anerkannte Methode zur Überwindung problematischer Prokrastination, ist die von mir praktizierte Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT).


Dieser Text basiert im Wesentlichen auf dem Manual „ACT For Overcoming Procrastination“1 des renommierten Psychotherapeuten und Beraters der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Dr. Russ Harris, dessen Bücher millionenfach verkauft und in 30 Sprachen übersetzt wurden.


Ich habe mir erlaubt, diesen Leitfaden für Sie aus dem Englischen zu übersetzen und ihn um die Erkenntnisse weiterer Fachkolleg*innen sowie Erfahrungen aus meiner täglichen Arbeit zu erweitern.

 

Haben Sie jemals prokrastiniert?


Natürlich ist das eine rhetorische Frage. Wir alle prokrastinieren. Und ein bisschen Aufschieben ist kein Problem. Aber wenn wir exzessiv aufschieben - besonders, wenn wir Dinge aufschieben, die sinnvoll und wichtig sind - dann wird es zu einem Problem.


Lassen Sie uns also Schritt für Schritt erkunden, wie wir mit Hilfe der ACT-Prinzipien die Prokrastination durchbrechen können. Aber seien Sie bitte realistisch; lassen Sie sich nicht einfangen von perfektionistischen Vorstellungen davon alles zu schaffen. Dies ist ein Leitfaden die Prokrastination zu überwinden, nicht sie zu "eliminieren".


Ich hoffe und vertraue darauf, dass er Ihnen helfen wird, einige wichtige Dinge, die Sie aufschieben, erledigen zu können.


Es wird jedoch immer "Zeug im Posteingang" geben.


Es wird es wird immer Dinge geben, die wir aufschieben.

 

Was bremst Sie?

 

Der erste Schritt zur Überwindung der Prokrastination besteht darin, sich darüber klar zu werden, was Sie davon abhält, etwas zu unternehmen.

  

Es kann viele Hindernisse geben, aber die meisten lassen sich mit dem Akronym HARD zusammenfassen


H   Hooked (Festgehakt)

A   Avoiding discomfort (Vermeidung von Unannehmlichkeiten)

R   Remoteness from values (Distanz zu Werten)

D   Doubtful goals (Zweifelhafte Ziele)

 

Werfen wir einen Blick auf Ihre HARD-Barrieren.
     

H = Hooked (Festgehakt)


Unser Verstand ist so unglaublich erfinderisch; er kann sich sooooo viele Gründe einfallen lassen, um Dinge nicht zu tun, die wirklich wichtig sind:


Ich habe keine Zeit", "Ich habe keine Energie", "Ich werde versagen", "Ich werde es vermasseln", "Es ist zu spät", "Es wird etwas Schlimmes passieren", "Ich habe nicht das Zeug dazu", "Ich mache es später", "Ich bin zu beschäftigt/müde/deprimiert/ängstlich", "Es ist nicht so wichtig", Ich bin nicht in der Stimmung", "Ich habe nicht das Selbstvertrauen/die Disziplin/die Willenskraft", "Ich fühle mich nicht motiviert", "Ich sollte das nicht tun müssen", "Ich habe es schon einmal versucht und bin gescheitert", "Ich verdiene es nicht", "Andere Leute werden es nicht mögen", "Ich werde lächerlich gemacht oder zurückgewiesen", "Ich werde verletzt" und so weiter und so fort.


Unser Verstand kann uns auch Regeln auferlegen; er sagt uns, dass wir Dinge auf eine bestimmte Art und Weise tun müssen:


Ich muss es perfekt machen", "Ich darf keine Fehler machen", "Wenn ich es nicht perfekt machen kann, ist es besser, es nicht zu tun", "Meine Bedürfnisse sind nicht wichtig", "Was ich tun will, ist nicht wichtig; „ich muss andere an die erste Stelle setzen", "Ich kann es nicht tun, wenn ich mich nicht gut fühle", "Ich kann es nicht tun, wenn ich nicht weiß, dass ich Erfolg haben werde", "Es hat keinen Sinn, immer nur ein bisschen zu tun; entweder man tut alles oder nichts!', 'Ich kann es nicht tun, wenn jemand anderes negativ darauf reagiert'.


Hinzu kommt, dass unser Verstand uns oft Urteile aufdrückt:


Ich bin zu dumm / faul / undiszipliniert / übergewichtig / ungeschickt / unpraktisch /unzuverlässig / unsicher", "Ich bin nicht kreativ / zuversichtlich / zuverlässig / zuversichtlich /diszipliniert /klug genug".


Und wenn diese Gedanken uns fesseln, dann halten sie uns mit Sicherheit davon ab, etwas zu unternehmen.

 

A = Avoiding discomfort (Vermeidung von Unbehagen)

 

Der wichtigste Grund für das Aufschieben ist die Vermeidung schwieriger Gedanken und Gefühle - insbesondere von Furcht und Angst.

Schon der Gedanke daran, etwas zu tun, was wir aufschieben, reicht normalerweise aus, um alle möglichen unangenehmen Gedanken und Gefühle auszulösen. Und jedes Mal, wenn wir beschließen, die Sache noch ein bisschen aufzuschieben, verspüren wir sofort ein Gefühl der Erleichterung.

Diese Erleichterung hält in der Regel nicht sehr lange an, aber dieser flüchtige Moment der Erleichterung, diese kurze Flucht vor unangenehmen Gedanken und Gefühlen, ist mehr als genug, um uns weiter aufschieben zu lassen.

 

R = Remoteness from values (Distanz zu Werten)

 

Es hat wenig Sinn, diese Aufgabe zu erledigen, diese Herausforderung anzunehmen oder dieses Ziel zu verfolgen, wenn sie nicht wichtig oder sinnvoll ist. Wenn wir also die zugrunde liegenden Werte ignorieren, vernachlässigen oder vergessen, fehlt uns die Motivation, es zu tun.


D = Doubtful goals (Fragwürdige Ziele)

 

Ist Ihr Ziel auch wirklich realistisch? Versuchen Sie, zu viel zu tun oder es zu schnell zu tun? Oder versuchen Sie, es perfekt zu machen? Oder versuchen Sie, Dinge zu tun, für die Ihnen die notwendigen Ressourcen fehlen, wie Zeit, Energie, Gesundheit, Geld, soziale Unterstützung oder die Fähigkeiten, die Sie brauchen, um sie tatsächlich zu tun?

 

Wenn es nicht realistisch ist, ist es kein Wunder, dass Sie es aufschieben!
     

Überwindung der HARD-Barrieren

 

Es gibt vier Basis-Strategien zur Überwindung der HARD-Barrieren:

 

  1. Aushaken
  2. Raum schaffen
  3. Werte definieren
  4. Kluge Ziele setzen

 

1. Aushaken

 

Wir können unseren Verstand nicht davon abhalten, Gründe zu finden, warum wir die Dinge, die uns wichtig sind, nicht tun können, wollen oder sollten. Je schwieriger die Aufgabe ist, die wir vor uns haben, desto mehr Gründe wird uns unser Verstand liefern, um sie nicht zu tun. Aber wir können unsere Fähigkeiten zum Abkoppeln nutzen, um diesen Gedanken die Macht und den Einfluss zu nehmen, so dass sie uns nicht länger zurückhalten.


Das Gegenmittel besteht also darin, dass Sie Ihre Fähigkeiten zum Lösen von Haken gut einsetzen. Nehmen Sie zum Beispiel diese Gedanken wahr und benennen Sie sie: "Aha! Hier ist die "Ich kann das nicht"-Geschichte", oder "Ich habe den Gedanken, dass das alles zu schwer ist", oder "Da ist wieder die "Argumentationsmaschine"", oder "Aha! Hier ist das "Ich muss es perfekt machen"-Thema".


Sie können sich auch bei Ihrem Verstand "bedanken", schließlich versucht er, hilfreich zu sein: Er bemüht sich sehr, Ihnen zu helfen, unangenehme Gefühle oder negative Ergebnisse zu vermeiden, die Sie fürchten.

Sie könnten also im Stillen sagen: "Danke, mein Lieber. Ich weiß, dass du versuchst, mir zu helfen, XYZ zu vermeiden - aber es ist okay - ich habe das im Griff.


Wenden Sie eine Ihrer bevorzugten Techniken zum Lösen des Hakens an.


Die ACT hält unzählige Techniken und Übungen zum Lösen des Hakens für Sie bereit. Meine Aufgabe als Ihr Coach oder Therapeut ist es, Ihnen die Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen es Ihnen gelingt, Ihren hinderlichen Gedanken und Gefühlen die Macht über Sie zu nehmen.

  

2. Raum schaffen

 

Wir können nicht verhindern, dass schwierige Gefühle auftauchen.

 

Wenn wir aus unserer Komfortzone heraustreten, um etwas Herausforderndes, Langweiliges, Schwieriges oder Beängstigendes zu tun, ist hundertprozentig garantiert, dass unangenehme Gefühle auftauchen werden - am häufigsten sind es Furcht und Angst, aber manchmal auch Traurigkeit, Wut, Schuldgefühle und viele andere. Und nicht nur Emotionen tauchen auf, sondern oft auch problematische Impulse, Erinnerungen und Gedanken.

 

Wenn wir nicht bereit sind, uns zu öffnen und Raum für diese Erfahrungen zu schaffen, dann werden wir die herausfordernden Dinge, die uns wichtig sind, nicht tun.

 

Das Gegengift? Nutzen Sie Ihre Fähigkeiten, sich zu öffnen und Raum zu schaffen. Nehmen Sie die vorhandenen Gefühle (und andere Erfahrungen) wahr, benennen Sie sie und erlauben Sie ihnen, da zu sein. Bewerten Sie sie nicht. Nehmen Sie sie als das an und wahr, was sie sind Gedanken und Gefühle, die Ihnen Ihr Verstand sendet – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Atmen Sie in sie hinein, schaffen Sie Raum für sie, und seien Sie freundlich zu sich selbst. Und machen Sie es sich zur Gewohnheit, sich zu fragen: "Bin ich bereit, diesem Unbehagen Raum zu geben, um das zu tun, was wichtig ist?

 

Stellen Sie fest, dass Ihnen die Bereitschaft dazu fehlt, können wir daran gemeinsam arbeiten. Die ACT hat auch hierfür wirkmächtige Werkzeuge.

 

3. Werte definieren

 

Wenn die Aufgabe oder Aktivität, die wir aufschieben, sinnlos, bedeutungslos oder unwichtig erscheint oder sich wie eine Last oder Verpflichtung anfühlt, fehlt uns natürlich uns die Motivation, sie zu erledigen. Wir müssen sie also mit unseren Werten in Verbindung bringen.

 

Die Klärung Ihrer ganz persönlichen Werte ist ein zentraler Bestandteil der ACT und somit ein wesentliches Element unserer Arbeit in Coaching und Therapie.

 

Fragen, die wir uns stellen können, um unsere Werte präsent zu haben:

 

  • Welche Werte liegen dieser Aufgabe zugrunde?
  • Steht sie in Verbindung mit Werten wie "Fürsorge für mich selbst" oder "Fürsorge für andere"?
  • Welche Werte würde ich mit jedem Schritt, den ich mache, leben?
  • Wie könnte dies meiner Gesundheit, meinem Wohlbefinden, meinen Beziehungen oder meiner Arbeit helfen?
  • Bringt es mich näher an das Leben heran, das ich führen möchte?
  • Welchen langfristigen Zielen nähere ich mich dadurch?

 

möchten statt müssen

 

Wenn wir eine Verpflichtung verspüren und der Verstand formuliert "ich muss", dann sind wir von einer Regel abhängig und nicht von Werten motiviert. Unsere Werte geben uns ein Gefühl von Freiheit, von persönlicher Entscheidung: "Ich möchte dies tun, weil es mir wichtig ist, weil es mir etwas bedeutet, weil es sinnvoll ist!“


4.  Kluge Ziele setzen


Eine der wichtigsten Strategien zur Überwindung der Prokrastination besteht darin, sich vernünftige Ziele zu setzen, die realistisch und machbar sind. Wenn ein Ziel unrealistisch, überwältigend, zu schwierig, zu beängstigend oder ein zu großer Sprung außerhalb der eigenen Komfortzone erscheint, neigen wir natürlich dazu, es aufzuschieben! Wenn das ein Faktor für Ihre Prokrastination ist (und das ist es fast immer), versuchen Sie die folgenden Strategien (die sich alle überschneiden):

 

a. Machen Sie es konkret

 

Vage, wischiwaschihafte Ziele wie "Ich werde fit" oder "Ich gehe besser zu meinem Zahnarzt" sind nicht sehr hilfreich. Setzen Sie sich konkrete Ziele: Legen Sie fest, welche Maßnahmen Sie ergreifen werden, und wann Sie dies tun werden.

 

To-Do-Listen sind häufig hilfreich – allerdings nur dann, wenn diese klug angelegt und eingesetzt werden.

 

  • Teilen Sie bereits in Ihren To-Do-Listen große Aufgaben in kleine Teilschritte auf. Warum Sie das tun sollten, wird Ihnen spätestens bei der weiteren Lektüre dieses Textes klar.
  • Umfangreiche To-Do-Listen können überwältigen. Gestalten Sie diese daher so, dass Sie jeweils nur die nächsten Schritte im Blick haben. Sie können einzelne Aufgaben auf gesonderten Zetteln notieren und nur den mit dem nächsten Ziel auf Ihrem Schreibtisch platzieren. Damit ist nur das sichtbar, was in diesem Moment relevant ist. Das fokussieren Sie sich auf das Wesentliche und steigern Sie Ihre Konzentration.

   

b. Planen Sie es

 

Wenn Sie diese Tätigkeit in Ihrem Terminkalender fest einplanen und die Zeit dafür klar abgrenzen, werden Sie sich eher daranhalten, und die Wahrscheinlichkeit, dass andere Dinge "in die Quere kommen", wird geringer.

 

Testen Sie die Wirkung eines psychologischen Phänomens:

 

hard-to-get-Effekt, besagt, dass wir ein Gut umso höher bewerten, je unerreichbarer, knapper es für uns ist. Dieses auch unter Güter-Theorie bekannte Phänomen besagt, dass jedes Gut danach bewertet wird, wie reichlich es zur Verfügung steht. Je unerreichbarer, ausgedrückt in Knappheit, ein Gut ist, desto höher wird es bewertet.2

 

Die positive Wirkung dieses Phänomens bei der Überwindung der Prokrastination wurde in Studien belegt.3

 

Zu den diesbezüglichen Ergebnissen der Forschung des Spezialteams zum Thema Prokrastination der Psychotherapie-Ambulanz der Universität Münster sagt die langjährige Leiterin der Einrichtung, Margarita Engberding:

 

„Zum Abarbeiten der Arbeitseinheiten ohne Aufschieben hilft es, klare Zeitfenster für das Arbeiten festzulegen. Nutzt man dieses nicht, darf man an diesem Tag nicht mehr an der Aufgabe arbeiten, damit ist auch weiteres Aufschieben unterbunden.

 

Das klingt hart, hat aber einen wichtigen Lerneffekt – und man kann sich sogar in dieser „Frei-Zeit“ entspannen. Man hat ja eh keine Gelegenheit mehr zu arbeiten. Wenn man das Zeitfenster jedoch hundertprozentig einhalten kann, darf man am nächsten Tag etwas länger an seinem Thema arbeiten. Man muss sich weitere Arbeitszeit also regelrecht verdienen. Dieses Vorgehen motiviert und hilft sehr gut, längerfristige Pläne zu verwirklichen, wie unsere Evaluationen zeigen.“4

 

c. Vereinfachen Sie es

 

Wenn Ihnen ein Ziel zu schwierig erscheint, unterteilen Sie es in kleinere, einfachere und leichtere Ziele. Statt "zweimal pro Woche 30 Minuten ins Fitnessstudio gehen" könnte es zum Beispiel heißen "einmal pro Woche zehn Minuten ins Fitnessstudio gehen". Und wenn das zu viel ist, könnte es heißen: "Gehe mittags zehn Minuten lang spazieren".

 

d. Mehr Zeit einplanen

 

Versuchen Sie, zu früh zu viel zu tun? Ist das unrealistisch?


Wenn ja, nehmen Sie sich entweder mehr Zeit dafür oder reduzieren Sie die Menge, die Sie in jedem Zeitfenster zu erledigen versuchen.


Hierzu sagt die renommierte Psychologin und Autorin Magarita Engberding:

„Viele haben das Gefühl, dass sie ab sofort voll Gas geben müssen, weil sie ja so lange aufgeschoben haben. Doch dann überfordert man sich, ist frustriert, wenn man nicht alles schafft und fällt vermutlich zurück in das alte Vermeidungsverhalten. Hier hilft die 50 Prozent-Regel: Man fasst seinen Vorsatz, macht sich dazu einen Plan – und streicht erst mal die Hälfte davon.“4



e. Bauen Sie Ihre "psychologischen Muskeln" mit der Zeit auf.


Wenn Sie zum ersten Mal in ein Fitnessstudio gehen, nehmen Sie nicht gleich die schwersten Gewichte im Raum; Sie beginnen mit leichten Gewichten und bauen Ihre Muskeln auf. Und das gleiche Prinzip gilt für jede schwierige Aktivität. Beginnen Sie mit kleineren, weniger herausfordernden Zielen und steigern Sie sich im Laufe der Zeit.


Überlegen Sie: Was ist eine nicht zu große Herausforderung für den Anfang?


Was ist machbar, realistisch und kein zu großer Sprung aus der eigenen Komfortzone?


f. An der Sache knabbern


Wenn Ihr Ziel darin besteht, eine große Aufgabe oder Herausforderung zu bewältigen, die Ihnen entmutigend erscheint, dann knabbern Sie sich Stück für Stück heran. Anstelle von "Erledige deine Steuererklärung" könnte das Ziel lauten: "Arbeite 20 Minuten an deiner Steuererklärung“.  Anstelle von „eine Hausarbeit zu schreiben“, könnte das Ziel lauten: "Jeden Tag 100 Wörter pro Tag zu schreiben" oder "jeden Tag eine halbe Stunde zu schreiben“.


Die sieben 'R's


Zusätzlich zur Überwindung Ihrer HARD-Barrieren durch Aushaken, Werte und kluge Ziele, gibt es sieben weitere gute Strategien zur Motivation.


Russ Harris nennt sie die sieben "R's":

 

  • Reminder (Erinnerungen)
  • Records (Aufzeichnungen)
  • Rewards (Belohnungen)
  • Routines (Routinen)
  • Relationships (Beziehungen)
  • Reflecting (Reflektieren)
  • Restructuring (Umstrukturierung des Umfelds)

 

Sie können so viele oder so wenige davon verwenden wie Ihnen hilfreich sind.


Sie können sie nach Belieben einsetzen und beliebig miteinander kombinieren.


Werfen wir einen Blick auf jedes einzelne.

 

Reminder (Erinnerungen)


Wir können alle Arten von einfachen Hilfsmitteln nutzen, die uns an das erinnern, was wir tun wollen und warum wir das für uns tun möchten.


Wir könnten zum Beispiel ein Pop-up oder einen Bildschirmschoner auf unserem Computer oder Mobiltelefon mit einem wichtigen Wort oder Satz oder einem Symbol, das uns an das Ziel erinnert.


Oder wir schreiben eine Nachricht auf ein Post-It, das wir an den Kühlschrank oder an den Badezimmerspiegel zu kleben oder an den Rückspiegel oder an das Armaturenbrett im Auto kleben. Oder wir schreiben in ein Tagebuch oder einen Kalender oder in die Notizen-App eines Smartphones.


Zur Steigerung der Motivation können wir die Werte, denen wir folgen, wenn wir unsere Aufgaben angehen, überall dort platzieren, wo wir diese nicht übersehen können.


Die Reminder können wir um Aufgabenlisten ergänzen.


Diese sollten dem Prinzip der klugen Ziele folgen und möglichst kleine Schritte beinhalten. Mitunter entsteht dann eine recht lange Liste, die uns aufgrund ihres Umfangs wie ein nicht zu erklimmender Berg erscheint. Dann kann es sinnvoll sein, Teile der Liste abzudecken oder einzelne Aufgaben auf kleine Zettel zu schreiben, von denen stets nur einer präsent ist. Listen und Zettel oder ähnliches können uns bei dem nächsten Punkt dieser Tipps unterstützen, den Records bzw. Aufzeichnungen.

 

Records (Aufzeichnungen)


Wir können Aufzeichnungen über unsere Aktivitäten führen, indem wir notieren, was wir getan haben, wie lange und mit welchem Nutzen. Jedes Tagebuch, Notizbuch, Tabellenkalkulation oder Checkliste - auf Papier oder auf einem Gerät - kann diesem Zweck dienen.


Solche Aufzeichnungen haben den Effekt, dass wir erkennen und bewusst machen, dass wir vorankommen. Wir legen damit eine Basis, auf der wir aufbauen können.


Genauso wie sich Zweifel daran, dass wir unsere Aufgaben erledigt bekommen, quasi selbst nähren, indem ein Gedanke aus dieser Kategorie den nächsten auslöst und unser Verstand unendlich viele Gründe nennen kann, warum wir etwas nicht schaffen könnten, können sich positive Erlebnisse und Ergebnisse addieren und eine Aufwärtsspirale auslösen.


„Erfolg macht Erfolg“, ist eine Binsenweisheit aus dem Sport. Ein Torwart, der mit einer Glanzparade in ein Spiel startet oder ein Torjäger, der regelmäßig trifft, steigert mit jedem positiven Ereignis sein Selbstvertrauen. Umgekehrt erleben auch Spitzensportler mitunter Durststrecken. Dann heißt es oft, dass der berühmte Knoten platzen muss.


Setzen wir uns kluge und kleinschrittige Ziele, steigern wir die Chance dafür, diese zu erreichen.


Dokumentieren wir diese (Teil-)Erfolge, machen wir unsere Fortschritte erkennbar und erlebbar.


Probieren Sie es aus.


Wenn Sie auf einer Aufgabenliste Punkt für Punkt abhaken oder durchstreichen oder die Zettel mit den erledigten kleinen Aufgaben sammeln, werden Sie erleben, dass Ihnen die nun sichtbaren Ergebnisse Mut und Kraft vermitteln, Sie zuversichtlicher werden, auch die nächsten Schritte zu gehen.


Zur Steigerung und Stabilisierung dieser Erfolgserlebnisse gibt es ACT-Tools, die ich Ihnen gerne vorstelle.

 

Rewards (Belohnungen)


Wenn wir anfangen, die Dinge zu tun, die wir aufgeschoben haben, ist das normalerweise für sich genommen schon lohnend.


Auch steigern die oben genannten Records bzw. Aufzeichnungen ein positives Grundgefühl. Wir können jedoch unsere Motivation durch zusätzliche Belohnungen erhöhen.


Eine Form der Belohnung ist ein freundliches, ermutigendes Selbstgespräch, z.B. wenn man zu sich selbst sagt sich selbst: "Gut gemacht. Du hast es geschafft!


Eine andere Form der Belohnung ist das Teilen Ihres Erfolges und Ihrer Fortschritte mit einer Ihnen nahestehenden Person, von der Sie wissen positiv reagieren wird.


Vielleicht bevorzugen Sie eher materielle Belohnungen. Nachdem Sie für Sie herausfordernde Tätigkeiten ausgeführt haben oder ein bestimmtes Maß an Fortschritt bei der Aufgabe erreicht haben, kaufen oder machen etwas für sich selbst, das Ihnen wirklich gefällt. Auch hier sollten Sie die Messlatte nicht zu hochlegen, sondern bereits kleine Erfolge mit kleinen Belohnungen garnieren.


Wenn Sie Ihre Belohnungen im Vorfeld ähnlich notieren und planen wie Ihre Aufgaben, können Sie die Aufgaben mit positiven und somit motivierenden Assoziationen verknüpfen.


Routinen


Wenn Sie jeden Morgen zur gleichen Zeit aufstehen und dann mit dem immer gleichen Ablauf in den Tag starten, wird dies zur Gewohnheit. In diesen Prozess für Sie schwierige Aufgaben zu integrieren, macht diese zu einem zunehmend natürlichen Teil Ihres Daseins. Das erfordert dann weniger "Willenskraft" und wird zu einem Teil Ihrer regelmäßigen Routine

.

Experimentieren Sie! Versuchen Sie, einen Weg zu finden, eine regelmäßige Routine oder ein Ritual zu entwickeln, um das zu tun, was Sie normalerweise aufschieben - so dass es zu einem Teil Ihres Lebensstils wird.


Bauen Sie in Ihre Routine bewusst Elemente ein, die Ihnen Freude bereiten.


Sehr hilfreich kann es sein, Tools der ACT in den Start in den Tag zu integrieren, die Ihnen dabei helfen, für Sie problematische Gedanken und Gefühle zu erkennen, anzunehmen und schließlich loszulassen oder solche, die Sie in Kontakt mit Ihren Werten bringen.


Solche wirkmächtigen Werkzeuge der ACT vermittle ich Ihnen in unseren Sitzungen und leite Sie dazu an, diese selbstständig praktizieren zu können.


Hier gilt das uralte Sprichwort: „Übung macht Meister*innen!“, denn es geht darum, dass Sie die ACT-Perspektive zunehmend verinnerlichen und somit Herausforderungen mit einer anderen, einer entlastenden und zielführenden Haltung zu begegnen.

 

Relationships (Beziehungen)


Es ist einfacher zu studieren, wenn man Studienfreund*innen hat, es ist einfacher zu trainieren, wenn man Sportkamerad*innen hat. Bei den Anonymen Alkoholikern bekommt man einen Sponsor, der hilft, nüchtern zu bleiben, wenn es schwierig wird.


Finden Sie also eine nette, fürsorgliche und ermutigende Person, die Sie bei Ihrem neuen Verhalten unterstützen kann! Dies könnte ein Coach, Therapeut, Personal Trainer oder ein Freund, Verwandter oder Arbeitskollege sein.

Vielleicht können Sie sich regelmäßig bei dieser Person melden und ihr sagen und ihr mitteilen, wie gut es Ihnen geht, wie in "Belohnungen" erwähnt. Oder Sie könnten Ihrer Unterstützungsperson die "Aufzeichnungen", die Sie führen zeigen. Oder vielleicht können Sie die andere Person als "Erinnerung" benutzen - sie auffordern, sich nach Ihren Fortschritten zu erkundigen

 

Reflecting (Reflektieren)


Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit, um darüber nachzudenken, was Sie tun und welchen Nutzen, Sie daraus ziehen. Sie können dies durch Aufschreiben tun (siehe „Records/Aufzeichnungen") oder im Gespräch mit einer anderen Person (siehe "Relationships/Beziehungen") oder Sie können dies als mentale Übung während des Tages tun oder kurz vor dem Schlafengehen oder beim Aufwachen am Morgen.


Reflektieren Sie beispielsweise am Ende Ihres Arbeits- oder Lerntages drei Punkte, die gut liefen und drei Punkte, die Sie beim nächsten Mal besser machen können. Feiern Sie Ihre Erfolge und lerne Sie aus den Dingen, die nicht so gut liefen. Das stärkt Ihre Selbstwirksamkeit – und die ist Voraussetzung für Motivation.5


Insbesondere sich vor dem Einschlafen ganz bewusst auf das zu fokussieren, was Sie an dem Tag an Positiven erlebt haben, kann sehr hilfreich sein.


Wir wissen alle, dass wir unerledigte Aufgaben im Schlaf nicht bewältigen und für ungelöste Probleme in der Nacht keinen Ausweg finden werden. Dennoch neigen die meisten von uns dazu, uns genau damit vor dem Einschlafen zu beschäftigen.


Dies liegt daran, dass unser Verstand darauf fixiert ist, Probleme zu erkennen und Lösungen anzubieten. Diese bei vielen Sachthemen nützliche Eigenschaft, ist in vielen mentalen Bereichen kontraproduktiv. Eine Erkenntnis, die nicht oft genug herausgestellt werden kann, damit uns diese in den entscheidenden Momenten bewusst ist und wir im Sinne der ACT mit psychischer Flexibilität agieren, also eingefahrene Wege, die in Sackgassen führen, verlassen und andere Abzweigungen nutzen.


Voraussetzung dafür ist, dass wir unseren Blick für andere Perspektiven öffnen, indem wir zu unterscheiden lernen, welche Gedanken und Gefühle uns den Weg versperren und welche zielführend sind.


Dafür hält die ACT viele wirkungsvolle Methoden bereit.

 

Restructuring (Umstrukturierung der Umgebung)


Wir können unser Umfeld oft so umgestalten, dass es uns leichter fällt, das zu tun, was wir immer wieder aufschieben.


Wenn wir zum Beispiel morgens ins Fitnessstudio gehen wollen, könnten wir unsere Sportsachen in die Sporttasche packen und diese neben dem Bett oder an einem anderen auffälligen und platzieren, so dass alles sofort nach dem Aufstehen einsatzbereit ist.


Ein weiteres Beispiel: Wir können unser Arbeitsumfeld umstrukturieren, um Ablenkungen zu minimieren: stellen Sie Ihr Telefon auf lautlos oder schalten Sie es aus, schließen Sie alle unwichtigen Tabs in Ihrem Browser und das E-Mail-Programm. Schalten Sie unwichtige Benachrichtigungen auf allen Geräten aus.

 

Quellen:

1 = Harris, Russ: ACT For Overcoming Procastination

https://contextualconsulting.co.uk/wp-content/uploads/2023/04/ACT-For-Overcoming-Procrastination.pdf

2 = Spektrum – Lexikon der Psychologie

https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/hard-to-get-effekt/6329#:~:text=hard%2Dto%2Dget%2DEffekt%2C%20besagt%2C%20da%C3%9F%20wir,ist%20(G%C3%BCter%2DTheorie

3 = Engberding, Margarita; Höcker, Anna; Nieroba, Sarah & Rist, Fred (2011): "Arbeitszeitrestriktion als Methode der Behandlung von Prokrastination". In: Verhaltenstherapie 21 (4), S. 255-261.

4 = Engberding, Margarita in einem Interview mit der BARMER

https://www.barmer.de/gesundheit-verstehen/psyche/psychische-gesundheit/prokrastination-1070908/?em_cmp=BCC/WRF/2023/aw/studi/link&em_src=affiliate

5 = Krapp, A. & Ryan, R. M. (2002): "Selbstwirksamkeit und Lernmotivation". In: Jerusalem, M. & Hopf, D. (Hrsg.): Selbstwirksamkeit und Motivationsprozesse in Bildungsinstitutionen, Zeitschrift für Pädagogik (44), S. 54-82.

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